Mit großer Begeisterung beobachte ich seit Monaten den selbstlosen Einsatz meist junger Menschen, die u. a. in zwei Gruppen in ihrer Freizeit alten, besonders deutschen, aber auch jüdischen und polnischen Grabsteinen in und um Stettin nachspüren. Beide Gruppen arbeiten gut vorbereitet und mit Augenmaß auf Flächen, deren ursprüngliche Bedeutung mitunter heute gar nicht mehr erkennbar ist. Beide Gruppen sind teilweise auch in gemeinschaftlichen Aktionen unterwegs.

Dr. Marek Łuczak, Vorsitzender der 2005 gegründeten Gesellschaft Pomorskie Towarzystwo Historyczne (Pommersche Historische Gesellschaft) dokumentiert mit seiner Gruppe die Denkmäler der Region. Er sammelt ikonographische Materialien, Archivfotos von Pommern, seinen Denkmälern und Kunstwerken. Dr. Marek Łuczak, der zahlreiche Bücher über Stettiner Themen, Stadtteile und Vororte veröffentlicht hat, ist Polizist, der sich auf Delikte im Zusammenhang mit Denkmälern spezialisiert hat. Straftaten im Zusammenhang mit Diebstahl und Zerstörung von Kunstwerken und historischen Gegenständen sollen verhindert werden. Deshalb wird Dr. Łuczak regelmäßig angesprochen, wenn Grabsteine zufällig gefunden werden oder wenn es mit einem möglichen Diebstahl in diesem Zusammenhang geht. Im Herbst legte er mit seiner Gruppe Freiwilliger die Grabsteine der Familie Tilebein frei und übergab sie dem Nationalmuseum Stettin. Zur Zeit arbeitet er u. a. mit an der Verwirklichung des Projektes Park Tilebein in  Stettin-Züllchow/Szczecin-Żelechowa. Kürzlich entdeckte Łuczak zufällig auf dem Zentralfriedhof Stettin auf einer gerodeten Parzelle eine ganze Reihe von Grabsteinen aus der Vorkriegszeit. Die Steine wurden gereinigt und katalogisiert und verblieben vor Ort.

Eine der ältesten Grabplatten dürfte die – kürzlich in Altdamm geborgene – des Stettiner Glockengießers Johann Jacob Mangold und seiner Frau Dorothea aus dem Jahr 1699 sein. Sie wurde in einer spektakulären Aktion ins Nationalmuseum Stettin gebracht:

Grabplatte Mangoldt, Foto Pomorskie Towarzystwo Historyczne. Achtung: Beim Klicken auf das Foto öffnen Sie die entsprechende Seite bei Facebook!

Marek Łuczak inspiriert viele Menschen dazu, bei der Säuberung alter Friedhöfe zu helfen, vergrabene Grabsteine zu finden, sie zu heben und zu sichern. Solche Aktionen wurden auf dem ehemaligen Friedhof der Kückenmühlen Anstalten (Eckerbergerstr./ul. Chopina), auf alten Friedhöfen in Warsow/Warszewo, Frauendorf/Golęcino, Hohenkrug/Zdunowo, Scholwin/Skolwin, Franzhausen/Sławociesze und vielen anderen durchgeführt. Die Freiwilligen hören in ihrem Engagement nicht auf. Bereits im neuen Jahr 2021 fanden Wochenendarbeiten in Hohenkrug/Płonia-Struga, in Hornskrug/Rzęśnica und im Wald bei Messenthin/Mścięcino statt, wo ein 3,2 Tonnen schwerer Findling mit einer Inschrift: „Pommerscher Forst-Verein 1884“ ausgegraben wurde.

Über die Einsätze berichtet die Gruppe regelmäßig auf ihrer Facebook-Seite Pomorskie Towarzystwo Historyczne.

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Der Verein Denkmal Pomorze wurde Ende 2019 gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt, die Erinnerung an historische Orte, insbesondere an Denkmäler, die Kriegsopfern gewidmet sind, sowie an Friedhöfe und Grabsteine, wiederherzustellen. Alles hatte zunächst mit der Rettung einer alten Mangel begonnen, die nach Konservierungsarbeiten am 5. Juli 2020 in der Buchhandlung von Monika Szymanik der Öffentlichkeit übergeben wurde. Zu diesem Zweck wurde Geld von Freiwilligen gesammelt. Ab Anfang 2020 begannen in Absprache mit dem Denkmalpflegeamt aus Stettin/Szczecin und Grünberg, Schlesien/Zielona Góra die Arbeiten an kleinen ländlichen Friedhöfen in der Region. Im Frühjahr wurden Reinigungsaktionen auf den Friedhöfen u. a. in Augustwalde/Wielgowo, Franzhausen/Słowociesze und Sydowsaue/Żydowce durchgeführt. Vorher wurde in Archiven recherchiert und alte Fotos gesammelt, dann wurden die Materialien und die Dokumentation an das Denkmalamt übergeben.

Im Juli wurde ein Projekt zur Säuberung des Friedhofs in Stettin-Bethanien sowie die Suche nach den Gräbern der Familie Quistorp begonnen. Zu den Gedenkfeierlichkeiten anlässlich des 200. Geburtstages von Johannes Heinrich Quistorp (geboren am 14. November 1822 in Greifswald, gestorben am 9. Mai 1899 in Stettin), dem großen Wohltäter der Stadt Stettin, der sich besonders um die Belange der Arbeiterschaft kümmerte, sollen die Arbeiten abgeschlossen und alles gut dokumentiert sein.

Grabstein Minna Quistorp (Wilhelmine Caroline Marie Theune, geb. 6.1.830, gest. 10.12.1886, Heirat mit Johannes Heinrich Quistorp am  9.6.1852 in Stettin), Foto Denkmal Pomorze. Achtung: Beim Klicken auf das Foto öffnen Sie die entsprechende Seite bei Facebook!

Ein Antrag auf Finanzierung des langfristig gedachten Projektes “Kulturroute der ehemaligen Friedhöfe von Stettin” wurde bei den städtischen Behörden eingereicht und erhielt Unterstützung von der Stadt. In der Folge finden weitere regelmäßige Arbeiten auf kleinen Friedhöfen am Stadtrand von Stettin statt, die mehr und mehr Interesse in der Bevölkerung finden, z.B. wurde im Oktober ein großer Grabstein von Gottfried Bölke, gest. 1904, Besitzer des Restaurants Lindenhof, bei den Nemitzer Wiesen – heute Syrenie Stawy – in der Nähe des Ernst-Moritz-Arndt Hauses bei Eckerberg gefunden.

Kürzlich fand die Gruppe Denkmal Pomorze im Eckerberger Wald einen Stein mit der Aufschrift “Lina Viek 1920“, gestiftet zum Gedenken an die Ehefrau des Direktors der dortigen Wasserheilanstalt Eckerberg, die später in eine Gaststätte “Kurhaus Eckerberg” umgewandelt wurde.

Die Gruppe Denkmal Pomorze berichtet über ihre Einsätze regelmäßig auf ihrer Facebook-Seite Denkmal Pomorze.

Es gibt noch zahlreiche weitere Freiwillige, die an der Suche auch nach deutschem Kulturerbe beteiligt sind,  z.B. Wirtualny Niemierzyn, Stowarzyszenie Templum, Projekt Przełaj ebenso wie Leute, die helfen, alte Fotos zu finden oder auch alte Häuser mit wunderschönen Hausfluren und Haustüren fotografieren, Sammlerstücke bergen oder im Archiv arbeiten.

Man kann diesen Gruppen gar nicht genug für ihre Arbeiten danken.

Trudno w wystarczający sposób wyrazić wdzięczność za ten wysiłek i starania.

 

2 Gedanken zu “Bewahrung von Kulturgut in und um Stettin”

  • Danke für den optimistischen Text. Der macht mir Hoffnung. Vielleicht finden sich doch noch Grabsteine meiner Groß- und Urgroßeltern in Stettin an. Der Text weist indirekt auf einen sehr positven Trend hin. Der betrifft das Land ohne Vergangenheit. Die BRD gehörte vierzig Jahre lang zu dieser Kategorie und selbst heute wird die Vergangeheit gerne mit großen Lücken betrachtet. Die polnischen Pioniere, die zwangsweise aus Ostpolen nach Pommern umgesiedelt wurden, sind nun in Pommern heimisch. Wer in seiner Heimat wohnt interssiert sich auch für die tatsächliche Geschichte dieser Gegend. Das ist für alle gut. Daraus entsteht gegenseitiger Respekt ohne politischen Firlefanz.

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