Die Ernte, Höhepunkt des ländlichen Jahres, ist stets verbunden mit einer Vielzahl von Sitten und Gebräuchen, ganz besonders in unserer pommerschen Heimat, die ja eine Kornkammer Deutschlands war. Wie fast jedes Dorf in Pommern sprachlich seine kleinen Besonderheiten und Eigenheiten hatte, so wichen auch die Erntebräuche stets ein wenig voneinander ab. Im Großen aber entsteht doch ein einheitliches Bild.

Pommerscher Erntezug Date1863 SourceOtto von Reinsberg-Düringsfeld: Das festliche Jahr in Sitten, Gebräuchen und Festen der germanischen Völker. Mit gegen 130 in den Text gedruckten Illustrationen, vielen Tonbildern u. s. w. Spamer, Leipzig 1863. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Germ.g. 390 w; http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10016939-6
Pommerscher Erntezug,  1863
Otto von Reinsberg-Düringsfeld: Das festliche Jahr in Sitten, Gebräuchen und Festen der germanischen Völker. Mit gegen 130 in den Text gedruckten Illustrationen, vielen Tonbildern u. s. w. Spamer, Leipzig 1863. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Germ.g. 390 w; http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10016939-6

Die Kleidung war überall die gleiche, und zwar aus gutem, selbstgewebtem weißen Leinen hergestellt. Manchmal wurde auch weißer Nesselstoff genommen, aber das kühlende Leinen erhielt doch meistens den Vorzug. Die Frauen und Mädchen trugen ihr weißes „Austkleid” nach einfachem, selbstgefertigtem Schnitt, dazu ein großes, weißes Kopftuch, das weit in die Stirn gebunden werden konnte, um genügend Schatten zu geben. Die Männer trugen ebenfalls weiße Hosen und Hemden, dazu einen zünftigen Strohhut. In der letzten Zeit allerdings taten viele junge Mädchen es den Herren der Schöpfung gleich, indem sie auch lange Hosen und Strohhüte zu ihrer Erntekleidung wählten. Aber dies geschah aus reiner Zweckmäßigkeit und Sicherheit vor den sengenden Strahlen der Sonne.

Frühstück, Mittag und Abendbrot wurden zwar zu Hause gegessen, aber zwischen diesen Mahlzeiten wurde ein großer Korb mit erlesenen Dingen ins Feld „nachgetragen” und sein Inhalt im Schatten der Hocken, am Wegrain oder am nahen Waldrand fröhlich verzehrt. Was gegessen wurde? Auch das war in jedem Ort verschieden. In einem Dorf gab es Kuchen oder Butterstuten, im andern Pfannkuchen und Flinsen. In früherer Zeit galt mittags Reis und Pflaumen als „feines Essen”, später galten Schweinebraten oder junge Hähnchen als beste Mahlzeit.

Beim Trinken aber gab es keine Unterschiede. Da galt überall nur das selbstgebraute Bier als zünftiges Getränk. Dieses Austbier wurde in jedem Jahr aufs Neue rechtzeitig zur Ernte angesetzt, und gebraut, in große Kruken gefüllt und schmeckte nicht nur ganz vorzüglich, sondern löschte auch den größten Durst. Bevor dieses Bier nicht getrunken war, faßte kein Bauer und kein Knecht die Sense zum Anmähen an. Wenn der Roggen reif war, sagte man deshalb zum Herrn stets:

„Wo bliwwt das Austbeir!?”

Wenn der erste Schluck dann aber getan war. begann die Ernte. Die Bauersfrau wurde gelobt und freute sich darüber, wenn nun die ganze Mannschaft singend ins Feld zog. Als Stichtag für die Roggenernte galt die Zeit um Jacobi am 25. Juli. Daher die alte Bauernweisheit:

„Jacobus bringt Brot oder Hungersnot!”

Erntezug-Sabin
Erntezug in Gross Sabin, Kreis Dramburg
Aus: Pommersches Heimatbuch 1954

Als Schlußtag der Haferernte galt der Bartholomäustag am 24. August und war zugleich Auftakt der Obsternte. Den ersten Sensenschnitt im Roggenfeld tat der Bauer meistens mit einem „Help Gott” oder stillen Vaterunser. Damit wurde der Segen Gottes für ein gutes’Gelingen und eine reiche Ernte angefleht. An einigen Orten wurden früher sogar zu Beginn der Ernte die Glocken geläutet. Dieser Brauch ist in älteren Kirchenverordnungen sogar fest verankert gewesen. In manchen Gegenden wurden auch die ersten Ähren aus Demut und Dankbarkeit als Kreuz auf die Erde gelegt. Sobald aber das Anmähen vorbei war, ging es wie besessen an die Arbeit. Die erste Garbe wurde gebunden und zur Seite gelegt, denn sie wurde in manchen Höfen später mit dem Spruch „Maus, hier das Deine, laß mir das Meine!” hinter die Scheunentür geworfen, um sich von der Mäuseplage loszukaufen und zu befreien.

Das erste Fuder, das eingefahren wurde, hatte genau die gleiche wichtige Bedeutung wie der erste Anschnitt oder die erste Garbe. Beim Aufladen und Einfahren dieses Wagens durfte nicht gesprochen werden. Erst nachdem der Bauer dreimal mit der Peitsche geknallt hatte, wurde das Scheunentor schweigend von der Bäuerin geöffnet. Dann stellte sie die rituelle Frage:

 Was bringst Du?

 Für uns das Brot — für die Mäuse den Tod!

So antwortete der Bauer und fuhr das erste Fuder in die Scheuer. Beim letzten Fuder dagegen wurde stets Spaß getrieben. So wurde beispielsweise in der Mitte nicht „zugepackt”, also ein Loch gelassen, so daß der Mann, der in der Scheune abstakte, bis unten auf das Wagenbrett durchrutschte. Oder aber die letzte Fuhre wurde aus lauter Übermut kreuzweise ineinander gepackt, so daß sich die Garben beim Abladen nicht auseinanderreißen ließen.

Der-Alte
Der “Alte” wird dem Gutsherrn überbracht
Aus: Pommersches Heimatbuch 1954 mit Dank an Ireck Litzbarski* für den Quellenhinweis

 

Der bekannteste Brauch in Pommern war die Gestalt des „Alten” oder plattdeutsch „de Oll”. Diese Strohpuppe wurde aus der letzten Garbe angefertigt. Auf dem Felde wurde aus Freude über das glückliche Ende der Getreideernte fröhlich und ausgelassen um den Strohmann getanzt. Dann wurde er singend ins Dorf getragen oder auf das schönste Pferd gebunden. Vor dem Herren- oder Bauernhaus hielt der Zug an, ein junges Mädchen trat vor und sagte den Spruch:

Goden Dag, tosaomen in dat Huus,

wi bringe den Ollen von’t Feld no Huus.

wi hewwe mit em üm de Wett bunne,

de Oll, de hett de Sieg gewunne.

Wi fünge us mit em an to striden,

de Oll, de wull in’n Feld nich bliwen.

Wi hewwe moal bunne rund un bunt,

wi hewwe moal bunne öwer Barg un dörch den Grund.

Wi hewwe moal bunne dörch Distel un Doorn,

doaför gäw de leiv Gott us immer schier Koorn.

Wie hewwe moal bunne, dat de Sand so stöwt,

un anftert Johr will wi binne, dat de Steel sik bögt.

De Oll, dat wie ein lustig Hans,

hei bitt sik nu ut Musik un Danz.

Un wenn hei dat würd nich kriege,

denn ward ji annert Johr up’n Rügge liege.

Wat doahn wi nu mit diesem Olle?

Wille Sei em hewwe oder schaele wi em biholle?

 

Nun, der „Alte” wurde niemals abgewiesen, sondern gern ins Haus genommen und für Musik und Tanz, Essen und Trinken eingelöst.

War die Ernte beendet, das letzte Fuder in die Scheuer gefahren, waren die Kartoffel eingekellert und in die Mieten gebracht, rüstete man zum Erntefest. Auch diese Feier wurde nach alten, überlieferten Gebräuchen begangen. Klaus Granzow berichtet darüber:

Zwischen Pfingsten, dem „lieblichen Fest” im Frühling, und Weihnachten, dem „heiligen Fest” im Winter, feiern wir im Herbst das schöne und wunderbare Fest der Dankbarkeit: das Erntefest. Es ist jener Tag, von dem der Waldbauernbub Peter Rosegger sagt, daß es „das Fensterlein” sei, „durch das man hineingucken kann in die weite Welt, ja sogar ein wenig in die Ewigkeit hinein.”

In Pommern wurde das Erntefest meistens am letzten Sonntag im September gefeiert und eine Woche später im Oktober das Erntedankfest.

So sangen die Burschen und Mädchen, wenn sie sich an diesem Sonntag auf dem Dorfplatz versammelten. In festlicher Kleidung waren alle erschienen, die an der Ernte teilgenommen hatten. Die alten schönen Trachten oder die neuesten Kleider wurden zu diesem Fest angelegt. Die Männer hatten ihre Werkzeuge — Sensen und Forken — mit buntem Krepp- oder Seidenpapier umwickelt und Blumen- oder Getreidesträuße am Hut, und die Mädchen hatten ihre Harken ebenso herrlich mit roten, blauen, grünen und weißen Bändern geschmückt.

Hohenselchow, Erntefest
Erntefest in Hohenselchow Krs. Randow (Vorpommern). Alt und jung, zu Fuß und per Wagen, strömt zur Festwiese. Aufn.: Illus-Diedrich 21.7.48 Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst – Zentralbild (Bild 183) Bundesarchiv, Bild 183-2005-0811-526 / Diedrich / CC-BY-SA

Am schönsten ausstaffiert aber war der Erntewagen, der in jedem Jahr von einem anderen Bauern (es ging immer reihum) gestellt wurde. Er war nicht nur mit Ährensträußen aus allen Getreidearten und bunten Blumen geschmückt, sondern schwere Girlanden aus Eichenlaub hatte man durch die Speichen der Räder und die Leiterstangen der Seiten gewunden. Auch die Pferde und der Kutscher waren über und über mit Eichenlaub und Ähren geschmückt. Hinter diesem Wagen, auf dem meistens nur die Kinder des jeweiligen Bauern saßen, formierte sich der Erntezug durchs Dorf. Voran schritt ein junger Mann mit einem Säkorb, der nun beim glücklichen  Abschluß der Ernte  an den schweren Beginn der Ackerzubereitung erinnern sollte. Als nächstes trugen zwei junge Mädchen die Krone, dahinter folgte die Dorfkapelle und die gesamte lustige Schar der Jungen und Mädchen aus dem ganzen Dorf.

Die Erntekrone wurde in manchen Gegenden Pommerns noch „Aust-Kranz” genannt. Der Kranz ist seit altersher das Sinnbild des sich immer wieder schließenden Jahreskreises gewesen. Aus ihm hat sich  dann die Bügelkrone entwickelt, die mit besonderer Kunstfertigkeit aus Weidenholz hergestellt wurde. Den Mädchen des Dorfes fiel die Aufgabe zu, die Krone so schön wie möglich auszuschmücken. Mit sorgfältigem Eifer, mit viel Liebe und Phantasie gingen sie an die Arbeit und vollendeten das schwierige Werk. Alle Getreidearten: Roggen, Weizen, Gerste und- Hafer mußten verwandt werden, dazu die Blumen des Feldes, Kornblume, Rade und Mohn. In manchen Gegenden wurden auch Äpfel und Birnen, die Früchte der Obsternte, mit in die Krone gebunden.

Diese herrliche Krone wurde dann in den Gutsdörfern dem Herrn von seinen Knechten und Mägden überreicht. In den Bauerndörfern erhielt jedes Jahr ein anderer Hof die Krone. Der Bauer oder der Gutsherr standen schon mit ihren Familien in der Haustür, wenn der Erntezug singend auf den Hof marschiert kam. Im Halbkreis formierten sich die fröhlichen Schnitter und Schnitterinnen um das Haus, die beiden Mädchen traten dann mit der Krone vor und sagten ihren Spruch:

Guten Tag, ihr Herren insgemein,

ich bitt’, ein Weilchen still zu sein.

Wir bringen dar den Erntekranz

für Essen, Trinken, Spiel und Tanz.

Er ist nicht von Distel und Dorn.

sondern von reinem, gewachsenem Korn.

Ich will nun wünschen, daß die Pferde gut gehn,

und daß die Schweine gut gedeihn,

daß die Frau kann nach dem Rechten sehn

und alle Kinder reich sich verfrei’n.

Dafür bitten wir Bier und Wein

und wollen dabei recht lustig sein!

Musikanten,   spielt auf,

ohne Rast und Verschnauf!”

 Danach wurde die Erntekrone übergeben und ins Haus gebracht. Die Musik spielte einen Tusch, und der Hausherr bedankte sich mit einem Erntetrunk. Die Sprecherin des Gedichtes erhielt ein Geschenk und alle Gäste einen kleinen Strauß zum Anstecken.

Auf den Gutshöfen wurde nun für das ganze Gesinde der Tisch gedeckt und der Herr und die „gnädige Frau” bedienten selbst. Ein alter Gutsbesitzer pflegte zu sagen:

„Dat ganz Johr moakt ji mi satt, dissen Dag heww ick nu, dat ick juch satt moake doh!”

Auf der Insel Rügen wurde die Erntekrone „abgetanzt”: zuerst tritt der Herr mit seiner Frau zum Tanz an, dann mit der Kranzjungfer, mit der Vormagd usw. bis zur Kleinmagd, darauf tanzt die Hausfrau mit dem Vorarbeiter bis zum jüngsten Stallburschen. Dabei hält jedes Paar die Krone zwischen sich, bis nichts mehr von ihr übrig ist. In anderen Gegenden wird die alte Krone vom Gutsherrn mit Äpfeln und Bonbons gefüllt und zwischen die Kinder geworfen, die dann dabei die Krone zerreißen.

Die neue Krone aber bekommt einen Ehrenplatz, meistens gleich vorn in der Diele, für jeden Besucher sogleich sichtbar. Zum Erntefest aber wird sie noch für einen Tag mit in den Saal genommen, in dem nun der Erntetanz beginnt. Bis zum frühen Morgen wird hier nun gewalzt und getrunken. Oft bezahlte der Gutsherr oder der „gekrönte” Bauer die ganze Zeche allein, sonst aber wurde eine Gemeinschaftskasse gegründet, die jedem ermöglichte, mitzufeiern.

Der letzte Tanz unter der Krone war den jungen Mädchen und Frauen vorbehalten, denn ein alter Fruchtbarkeitszauber waltete nun in ihr. Überhaupt war die Zeit der Ernte zugleich auch eine Zeit der Hochzeiten. Im vorigen Jahrhundert wurde in vielen Dörfern Hochzeit und Erntefest zusammen gefeiert. Und der Erntedank-Sonntag darauf war zugleich der Dankgottesdienst für die jungen Brautleute. Der Altar war festlich geschmückt. Alle Früchte des Feldes und des Gartens waren zum Zeichen des Dankes auf den Stufen niedergelegt. An der Stelle des Kronleuchters hing auch hier eine große, schwere Erntekrone.

Texte aus “Pommersche Saat” Monatsblätter für die Gestaltung von Heimatabenden, Pommersche Landsmannschaft 1949-1962

Im Video können Sie sich das pommersche Landleben am Beispiel Lupow/Kreis Stolp – auch mit Aufnahmen vom Erntefest – ansehen auf Lupowfilm-Nummer I

Eine schöne Schilderung des Erntefestes in Stölitz, Kreis Greifenberg  findet sich auch in: “Ein Rittergut im Wandel der Zeit: Erinnerungen an das pommersche Dorfleben und an die Zeit bis 1957” von Gerhard Kasten, Norderstedt, 2009

*Fotosammlung von Ireck Litzbarski auf Flickr