Berlin, den 7. November 2012

Betreff: Verkauf der Stralsunder Gymnasialbibliothek
Bezug: Berichterstattung in der Ostsee-Zeitung und der Schweriner Volkszeitung vom 3. November 2012

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Badrow, Sehr geehrter Herr Präsident Zimmer, Sehr geehrte Mitglieder der Bürgerschaft der Hansestadt Stralsund,

als 2. Vorsitzender und zugleich im Auftrag des Vorstands des „Pommerschen Greif e.V. Verein für pommersche Familien- und Ortsgeschichte“ mit Sitz in Greifswald wende ich mich im Namen unserer mehr als 450 Mitglieder in einer uns dringenden Angelegenheit an Sie. Einleitend möchte ich daran erinnern, dass der „Pommersche Greif“ der Hansestadt Stralsund eng verbunden ist. So haben wir schon mehrfach auf Exkursionen Ihre Stadt und das dortige Archiv besucht und 2010 vor Ort den „Deutschen Genealogentag“ ausgerichtet.

Umso bestürzter sind wir über die Pressemeldungen denen wir entnehmen mussten, dass die Hansestadt Stralsund den bisher im Stadtarchiv verwahrten Bestand ihrer traditionsreichen Gymnasialbibliothek an einen Antiquar veräußert hat. Diese Meldung hat uns zutiefst erschrocken und fassungslos gemacht.
Es handelte sich bei der Stralsunder Gymnasialbibliothek nach den vieler Orts zu verzeichnenden Verlusten am Ende und nach dem Zweiten Weltkrieg um die bedeutendste historische Schulbibliothek, die in Pommern erhalten geblieben war.
Wenn die heutige Stadtverwaltung und auch die Stadtvertreter meinen, jahrhundertealte Druckerzeugnisse verschiedenen wissenschaftlichen Inhalts aus städtischem Besitz verkaufen zu können, wirft das auch überregional ein verheerendes Licht auf den Umgang mit dem kulturellen Erbe einer Stadt, die erst vor wenigen Jahren zum UNESCO-Weltkulturerbe erhoben wurde. Dieser Verkauf schließt sich nahtlos an andere in Mecklenburg/Vorpommern getroffene Entscheidungen an, wie beispielsweise die für uns unzumutbaren Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit der Greifswalder Abteilung des Landesarchivs.
Aus den aus Ihrem Haus kommenden Verlautbarungen der vergangenen Tage bleiben Fragen offen, auf die sowohl die Stralsunder als auch die wissenschaftliche Öffentlichkeit eine Antwort erwarten können:

1. Warum hat sich die Hansestadt Stralsund entschlossen, ihre Gymnasialbibliothek zu verkaufen? Ist dieser Umstand allein finanziellen Zwängen geschuldet?
2. Wurden über diesen Verkauf die Kommunalaufsicht und das Kultusministerium informiert?
3. Weiß die Hansestadt Stralsund im Einzelnen, was verkauft wurde, d.h. gibt es eine Liste der veräußerten Titel? In den vergangenen Wochen sind zahllose Titel in Antiquariats-Internetportalen aufgetaucht, die neben den Stempeln und Exlibris der Gymnasialbibliothek auch solche der Stadtbibliothek und der Gräflich Löwenschen Büchersammlung tragen. Sind diese Bände aus dem Stadtarchiv, die offensichtlich nicht zur Gymnasialbibliothek gehörten, “versehentlich” mit verkauft worden?
4. Sind bei der Vorbereitung des Verkaufs Gutachten von Fachleuten wie Fachwissenschaftlern oder Bibliothekaren eingeholt worden bzw. waren solche an der Entscheidungsfindung der Stadt beteiligt?
5. Warum wurden die verkauften Werke nicht zuerst anderen Archiven und Bibliotheken oder einschlägigen Vereinen im Land Mecklenburg-Vorpommern angeboten? Unsere ehrenamtlich tätigen Mitglieder hätten Sie beispielsweise nach Aufforderung genauso beraten und unterstützen können, wie dies seit Jahren in der Bibliothek der Ostsee-Akademie Lübeck-Travemünde der Fall ist.
6. Was wird die Hansestadt Stralsund unternehmen, um das derzeit geschlossene Stadtarchiv für die Forschung, unter anderem auch unseren Mitgliedern, wieder zugänglich zu machen und die im Johanniskloster durch Feuchtigkeit und Schimmelbildung gefährdeten Archiv- und Bibliotheksbestände zu retten?

Für klärende Antworten auf diese Fragen wären wir dankbar und hoffen im Übrigen, dass der offenbar bereits eingetretene schwere Schaden für das Ansehen der Hansestadt Stralsund und für unersetzliches pommersches Kulturgut im Rahmen des noch möglichen eingegrenzt werden kann. Sie werden gewiss verstehen, dass wir dieses Schreiben auch der Öffentlichkeit zur Kenntnis geben.

Mit freundlichem Gruß
Prof. Dr. Hans-Dieter Wallschläger

Ein Gedanke zu “Stralsund: Offener Brief des Pommerschen Greif e.V.”

  • Ich schließe mich dem Brief in Inhalt und Form vollständig an. Ich unterstütze viele Archive und gehöre den “Freunden und Förderen der Bayrischen Staatsbibliothek” an, die in vielfältigen Aktionen das deutsche Kulturgut vor dem Verfall, Vernichtung und dem Verkauf an private Nutzer verhindern will.

    Warum hat man das Archivgut nicht anderen Archiven angeboten? Warum hat man nicht mit interessierten Vereinen und Personen eine Rettungsaktion gestartet und die Medien zur Mitarbeit aufgefordert?

    Es ist nicht ein Gutachten (das wieder viel Geld kostet, das man in Stralsund wohl nicht hat) notwendig, sondern es ist eine Revision des Landesrechnungshofes oder der Aufsichtsbehörde des Landes-Kultusministeriums erforderlich. Die verantwortlichen Personen sind zur Rechenschaft zu ziehen und ggf. von ihren ASufgaben zu entbinden. Aus diesem Fall müssen Konsequenzen gezogen werden.

    Hans-Ulrich Wegener

Die Kommentarfunktion ist deaktiviert.